Viele Experten prognostizieren, dass der Höhepunkt bei der US-Inflationsrate erreicht sei und versuchen dabei häufig die Inflationsängste der Verbraucher zu zerstreuen. Selbst wenn diese Vorhersage richtig wäre, ist das allerdings längst kein Grund zur Entwarnung.

Bestimmt haben Sie den Kurseinbruch bei Netflix nach der Zahlenvorlage verfolgt. Am Mittwoch, 20. April ist die Aktie um  35 % kollabiert, womit an einem Tag ein Börsenwert von mehr als 56 Mrd. US-Dollar vernichtet worden ist. Damit liegt er nur noch bei 100,5 Mrd. US-Dollar.

Zwar hat auch der Goldpreis zuletzt deutlich nachgegeben, nachdem viele Investoren wegen der Erholung am US-Aktienmarkt das Edelmetall verkauft haben. Mit Kursen von rund 1.950 US-Dollar je Unze hat der Goldpreis seit Jahresanfang aber um rund acht Prozent zugelegt. Ich bin weiterhin zuversichtlich, dass die vorherige Klettertour in Richtung des Rekordhochs vom August 2020 bald weitergehen sollte, zumal wenn die Turbulenzen am US-Aktienmarkt aufgrund weiter kräftig steigender Zinsen für zehnjährige US-Anleihen zurückkehren sollten.

Netflix verbucht ersten Kundenrückgang seit 2011

Verantwortlich für die Kursimplosion bei Netflix sind die schwachen Zahlen und der katastrophale Ausblick. So hat der Streamingdienst im ersten Quartal überraschend 200.000 zahlende Kunden verloren – das war der erste Rückgang seit 2011 – , wohingegen Analysten einen Anstieg um 2,5 Mio. vorhergesagt hatten. Grund dafür ist die weltweit galoppierende Inflation. Weil viele Verbraucher wegen des starken Anstiegs der Energie- und Nahrungsmittelpreise, aber auch vieler anderer Güter und Dienstleistungen, enorm unter Druck stehen, können sie sich ihr Netflix-Abo – das Standard-Abo kostet in den USA 15,49 US-Dollar pro Monat – nicht mehr leisten und haben es daher gekündigt.

Daher hat der Streamingdienst im ersten Quartal in den Regionen USA/ Kanada, Europa, Naher Osten und Afrika, sowie in Lateinamerika jeweils Kunden verloren. Das konnte durch einen Anstieg in der Region Asien/ Pazifik nicht wettgemacht werden. Noch mehr geschockt hat Investoren die Prognose von Netflix, dass im laufenden Quartal 2,0 Mio. Kunden ihr Abo kündigen dürften.

Und dennoch wollen uns viele Volkswirte weißmachen, dass die US-Wirtschaft im laufenden Jahr um drei bis vier Prozent wachsen würde und jene der Euro-Zone trotz der massiven Auswirkungen des Ukraine-Kriegs um knapp drei Prozent. Wie passt das denn mit dem Rückgang der Kundenzahlen bei Netflix zusammen? Meiner Meinung nach gar nicht! Wenn viele Verbraucher nicht die 10 oder 15 US-Dollar bzw. Euro pro Monat haben, um sich ihr Streaming-Abo zu leisten, wie soll denn dann die Wirtschaft wachsen?

Ich sehe mich durch die Netflix-Zahlen vielmehr in meiner Einschätzung bestätigt, dass die Wirtschaft der USA und der Euro-Zone jeweils zügig auf dem Weg in eine Rezession sein dürften. Schauen wir mal wie lange in dem Umfeld die Erholung bei S&P500 und DAX weitergehen wird, zumal wenn die Fed in den nächsten Monaten die Zinsen kräftig erhöhen sollte. Je schneller der S&P500 nach unten drehen sollte, umso mehr Aufwärtsdruck dürfte es beim Goldpreis geben.

Steht Höhepunkt bei Inflation kurz bevor?

Viele Volkswirte prognostizieren, dass in den USA der Höhepunkt bei der Inflation erreicht sei und die Rate schon in den nächsten Monaten allmählich den Rückwärtsgang einlegen dürfte und von 8,5 % für März bis zum Jahresende auf unter 7,0 % sinken werde. Abgesehen davon, dass die Volkswirte diese Vorhersage in den vergangenen Quartalen schon zahllose Male gemacht haben und damit andauernd falsch gelegen waren, nehmen wir mal an dass die „Experten“ diesmal richtig liegen sollten.

Was würde das denn konkret bedeuten? Ich habe das mal nachgerechnet. Wenn die Verbraucherpreise zwischen April und Dezember um jeweils „nur“ 0,4 % gegenüber dem Vormonat steigen würden, dann würden die Preise im Dezember um 6,9 % gegenüber dem Vorjahr steigen. Damit würden die Preise im Dezember allerdings um 3,7 % höher liegen als derzeit, womit es einen weiteren deutlichen Kaufkraftverlust gäbe.

Lassen Sie sich also von der Vorhersage vieler Experten, dass der Höhepunkt bei der US-Inflation erreicht sei auf keinen Fall täuschen. Vielmehr werden die Preise weiter deutlich steigen!

Und wie könnte es in der Euro-Zone aussehen? Angenommen die Inflationsrate würde von herben 7,4 % für März bis Dezember auf 6,5 % zurückgehen. Dann würden die Preise in den nächsten Monaten jeweils um 0,3 % gegenüber dem Vormonat steigen, womit sie im Dezember um 2,7 % über dem aktuellen Niveau liegen würden. Das sind alles andere als schöne Aussichten! Dennoch werden EZB-Chefin Christine Lagarde und ihre Kollegen aus den Südländern weiterhin alles in ihrer Macht stehende tun, um eine mögliche Zinserhöhung solange wie irgend möglich hinauszuzögern und damit dafür sorgen, dass Ihre und meine Kaufkraft weiter kräftig schwindet.

Weiterer Sprung der Energiepreise droht

Das Risiko ist allerdings, dass die Volkswirte mit ihrer Prognose einmal mehr falsch liegen. Wieso? Weil es zuletzt Meldungen gab, dass die EU in der Woche nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich am Sonntag, 24. April ein Ölembargo gegen russisches Öl ankündigen dürfte. Die Analysten von JPMorgan prognostizieren, dass für den Fall eines kurzfristigen, vollständigen Ölembargos der Preis für die Nordseesorte Brent von aktuell 108 US-Dollar je Barrel bis auf 185 US-Dollar nach oben schießen dürfte.

Welch dramatische Folgen das für die Inflation in der Euro-Zone und in Deutschland haben würde, will ich mir lieber nicht vorstellen. In dem Umfeld würden die Preise vieler Güter und Dienstleistungen in den nächsten Monaten weiter nach oben schießen, sprich wir bekämen keinen Höhepunkt bei der Inflationsrate, sondern vielmehr eine Beschleunigung. Umso schneller würden die Wirtschaft hierzulande und der Euro-Zone in eine Rezession abstürzen.

Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass die EZB in dem Szenario trotz weiter stark steigender Inflation die Zinsen anheben dürfte, weil die EZB damit die kollabierende Wirtschaft noch mehr belasten würde. Umso mehr Auftrieb sollte der Goldpreis haben, zumal wenn die Fed sich durch die stark steigende Inflation genötigt sehen sollte, die Zinsen noch stärker anzuheben als bislang signalisiert. Umso mehr würden die kräftig steigenden Zinsen den S&P500 auf Talfahrt schicken, woraufhin Investoren einmal mehr in den sicheren Hafen Gold flüchten sollten.

Ist US-Wirtschaft am Rande der Stagflation?

Wie sehr die galoppierende Inflation die US-Wirtschaft bereits belastet hat, sollten die Zahlen zum Wirtschaftswachstum unmissverständlich zeigen, die am kommenden Donnerstag, 28. April veröffentlicht werden. Demnach soll das reale Wachstum der US-Wirtschaft – also nach Abzug der Inflation – im ersten Quartal auf annualisiert 1,0 % eingebrochen sein, nach annualisiert 6,9 % für das vierte Quartal 2021. Der Wert wird berechnet, indem man die Veränderung gegenüber dem Vorquartal mit vier multipliziert.

Würden die Zahlen tatsächlich so miserabel ausfallen, wäre die Wirtschaft meiner Meinung nach klar am Rande der Stagflation, also einer Kombination aus stagnierender Wirtschaft und hoher Inflation. Zumal wenn man berücksichtigt, dass die tatsächliche Inflation deutlich höher ist als die offiziell ausgewiesene – und damit es keinerlei reales Wirtschaftswachstum gäbe.

Lassen Sie sich bitte durch den jüngsten Kursrückgang bei Gold nicht verunsichern, denn die Aussichten für das Edelmetall sind besser als je zuvor. Je näher die nächste Fed-Sitzung am 4. Mai rückt, umso stärker könnten die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen steigen und damit den Dollar gegenüber Währungen, wie Euro und Yen, weiter deutlich nach oben ziehen. Trotz dieses Gegenwinds aus zwei Seiten sollte der Goldpreis auf Höhenflug gehen, weil bei einem Kursrutsch am US-Aktienmarkt das Edelmetall stark gefragt sein sollte. Nutzen Sie daher bitte die Zeit, um Ihre Bestände an physischem Gold weiter aufzustocken.

Über den Autor

Egmond Haidt begann nach seiner Bankausbildung und dem BWL-Studium im Jahr 2000 als Redakteur bei BÖRSE ONLINE. Seit dem Verkauf von BÖRSE ONLINE an den Finanzen Verlag im Januar 2013 arbeitet Egmond als freier Finanzjournalist und schreibt über Themen wie Wirtschaft, Aktien, Währungen, Rohstoffe und Edelmetalle. Seit der 2008er-Schuldenkrise beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Gold.