Obwohl die US-Inflationsdaten schlechter waren als erwartet, sind S&P500 und DAX plötzlich nach oben gedreht. Anschließend hat die Party umso mehr Fahrt aufgenommen. Allerdings macht das gar keinen Sinn.

Nach dem rasanten Anstieg bei S&P500 und DAX in den vergangenen Tagen hat sich die Stimmung vieler Anleger deutlich verbessert. Viele dürften sich überlegen, eventuell auf den fahrenden Zug aufzuspringen in der Hoffnung, dass die Erholung noch etwas weitergehen könnte. Manche Anleger hoffen sogar auf eine Jahresendrally, nachdem der DAX trotz des jüngsten Kurssprungs nach oben um rund 20 % seit Jahresanfang verloren hat.

Im Gegensatz zu den Aktienmärkten ist der Goldpreis zuletzt leider wieder nach unten gedreht. Belastet wurde er vom deutlichen Anstieg der US-Zinsen. So waren jene für zehnjährige US-Anleihen auf mehr als 4 % geklettert, das ist das höchste Niveau seit Dezember 2007, also fast ein 15-Jahres-Hoch. Mit Kursen von rund 1.640 US-Dollar je Unze notiert das Edelmetall in der Nähe des 31-Monats-Tiefs, zumal Gold in den vergangenen Monaten auch stark vom kräftig steigenden US-Dollar belastet worden ist.

Trotz schlechter US-Inflationsdaten schießen Aktienmärkte nach oben

Und damit wieder zurück zum Aktienmarkt. Begonnen hatte die Kehrtwende nach oben bei S&P500 und DAX nach der Vorlage der US-Inflationsdaten am vergangenen Donnerstag, 13. Oktober. Weil sie schlechter ausgefallen sind als erwartet, waren die Aktienmärkte zuerst eingebrochen, ehe sie anschließend umso kräftiger nach oben geschossen sind.

So war die Inflationsrate im September auf lediglich 8,2 % zurückgegangen, nach 8,3 % für August. Damit lag der September-Wert etwas über den Schätzungen der Volkswirte von 8,1 %. Gleichzeitig ist die Kernrate, also die um Nahrungsmittel und Energie bereinigten Verbraucherpreise, von August auf September von 6,3 auf 6,6 % gestiegen. Das lag nicht nur über den Schätzungen der Volkswirte von 6,5 %, sondern war zugleich der höchste Wert seit 1982, also ein 40-Jahres-Hoch und zeigt, dass es einen breitangelegten Preisauftrieb gibt. Damit haben sich sämtliche Hoffnungen der Investoren auf eine mögliche Kehrtwende der Fed in Richtung langsamerer Zinserhöhung in Luft aufgelöst, weshalb die Aktienmärkte anfangs zurecht eingebrochen sind.

Warum sind sie aber anschließend umso stärker nach oben gedreht? Laut Experten lag das an der Charttechnik, demnach der S&P500 knapp unterhalb von 3.500 Punkten an der 200-Wochen-Linie, also dem Schnitt der Kurse der vergangenen 200 Wochen, nach oben gedreht sei, was wiederum den DAX kräftig mit nach oben gezogen hat. Die Begründung mag stimmen, dennoch bleibt für mich die Tatsache, dass es weiterhin absolut keine Aussicht auf eine Kehrtwende der Fed gibt, weshalb der jüngste Kurssprung nach oben bei S&P500 und DAX für mich absolut keinen Sinn macht. Daher gehe ich davon aus, dass die aktuelle technische Erholung schon bald auslaufen dürfte, die Indizes anschließend wieder deutlich nach unten drehen sollten und sogar auf neue Jahrestiefs sinken dürften.

Britische Regierung leitet 180-Grad-Kehrtwende ein

Der zweite Grund für die jüngste kräftige Erholung an den Aktienmärkten diesseits und jenseits des Atlantiks waren die Ankündigungen der britischen Regierung. Nachdem die neue Premierministerin Liz Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen hat, weil dessen massive Steuersenkungspläne für einen starken Zinsanstieg und einen Kollaps des britischen Pfunds gesorgt hatten, hat sie Jeremy Hunt zu dessen Nachfolger ernannt.

Um die Lage am Finanzmarkt zu beruhigen, hat Hunt den Großteil der Pläne seines Vorgängers ad acta gelegt, vielmehr soll die Unternehmenssteuer wie ursprünglich geplant von 19 auf 25 % steigen, womit das Haushaltsdefizit deutlich verringert werden soll. Zudem soll die Unterstützung der privaten Haushalte bei der Bekämpfung der hohen Energiepreise nur bis April 2023 andauern und anschließend überprüft werden, statt der ursprünglich geplanten zwei Jahre. Wegen dieser Aussichten sind die Zinsen für britische Anleihen eingebrochen und hatten zwischenzeitlich auch jene für zehnjährige US-Anleihen mit nach unten gezogen.

Steigende US-Zinsen bedeuten zunehmenden Gegenwind für Aktien

Wie oben geschrieben sind die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen inzwischen aber in die Nähe des 15-Jahres-Hochs gestiegen – das bedeutet immer mehr Gegenwind für den S&P500, denn je höher die US-Zinsen steigen, umso unattraktiver werden Aktien aus dem S&P500 mit einer mickrigen Dividendenrendite von nur 1,8 %.

Besonders groß ist der Gegenwind für die sogenannten Growth-Aktien, also die Unternehmen mit starkem Wachstum, gerade auf der Umsatzseite, allen voran den Tech-Aktien. Denn deren erwartet stark steigende Gewinne werden bei deutlich steigenden US-Zinsen umso stärker abdiskontiert. Da ich davon ausgehe, dass der Anstieg der Zinsen für zehnjährige US-Anleihen in den nächsten Wochen weitergehen dürfte und es schnell in Richtung 4,25 % und darüber hinaus gehen sollte, sollten S&P500 und Nasdaq Composite schnell wieder nach unten drehen und damit auch den DAX mit nach unten ziehen.

Gleichzeitig haben die Analysten begonnen, die Gewinnschätzungen für den S&P500 für 2023 allmählich zu senken, was den Index zusätzlich belastet. Dennoch sagen die Finanzprofis für das kommende Jahr immer noch einen Gewinnanstieg um 7,7 % vorher und das in einem Umfeld, in dem die Weltwirtschaft rapide auf eine Rezession zusteuert.

Da halte ich stattdessen einen Gewinneinbruch um mindestens 15 bis 20 % für eine optimistische Schätzung. Dieses Risiko ist im S&P500, der mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von herben 15,5 meiner Meinung nach sehr hoch bewertet ist, noch in keiner Weise eingepreist. Beim KGV wird der Börsenwert der S&P500-Unternehmen durch deren Gewinne dividiert.

Im Klartext: Im S&P500 ist noch eine Menge heiße Luft! Und damit auch im DAX!

Mitarbeiter der EZB stellen irrwitziges Modell vor

Während vielen Anlegern die herben Kursverluste der vergangenen Monate am Aktienmarkt auf den Magen schlagen, müssen sämtliche Sparer und Verbraucher in der Euro-Zone tatenlos zusehen, wie die EZB deren Geld und damit deren Vermögen durch die hohe Inflation immer weiter vernichtet. Während die Inflation in Deutschland ebenso wie in der Euro-Zone bei 10 % liegt und laut Experten in den nächsten Monaten in Richtung 12 oder 13 % steigen soll, liegen die Leitzinsen bei lächerlichen 1,25 % und der Einlagenzins für die Banken bei nur 0,75 % – welcher Wahnsinn!

Zur Erinnerung: nur mit Leitzinsen oberhalb der Inflationsrate kann sie bekämpft werden. Und welche Idee haben die Mitarbeiter der EZB in dem Umfeld? Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters hätten die Mitarbeiter ein Modell vorgestellt, demnach die sogenannte Terminal Rate nur auf mickrige 2,25 % erhöht werden müsste, um die Inflation in Richtung des 2 %-Ziels der EZB zu drücken. Das Modell ist logischerweise der reine Irrwitz, kann man doch mit derart mickrigen Leitzinsen die Inflation absolut nicht bekämpfen. Die Terminal Rate bedeutet den Höhepunkt bei den Leitzinsen.

Bei der EZB geht es aber schon seit der 2012er-Schuldenkrise nicht mehr um die Bekämpfung der Inflation, vielmehr soll sie möglichst stark angeheizt werden, um so den riesigen Schuldenberg bei vielen hochverschuldeten Euro-Ländern, wie Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland und Portugal, sowie bei Verbrauchern und Unternehmen aus vielen Ländern tragbar zu halten. So lagen die Schulden der Euro-Länder zum Ende des ersten Quartals 2022 mit horrenden 12,0 Billionen Euro bei herben 95,6 % der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Da würde jeder noch so kleine Zinsanstieg die Wirtschaft unweigerlich in eine Rezession schicken. Weil die Leitzinsen in der Euro-Zone in den nächsten Monaten daher nur sehr langsam steigen und damit auf einem irrwitzig niedrigem Niveau bleiben dürften, ist der Besitz von physischem Gold umso wichtiger. Trotz des jüngsten Rückgangs ist Gold auf Euro-Basis um 10 % mehr wert als vor einem Jahr. Das kann sich mehr als sehen lassen, wie ich finde.

Ich werde die Entwicklung an den Aktienmärkten und bei den Zinsen für zehnjährige US-Anleihen weiter genau beobachten. Sollten die Zinsen weiter deutlich steigen, wovon ich ausgehe, sollten die Aktienmärkte schnell deutlich nach unten drehen, allerdings hätte in dem Umfeld auch Gold auf US-Dollar-Basis Gegenwind. Allerdings sollte in dem Szenario der Kollaps des Euro gegenüber dem US-Dollar weitergehen, was den Goldpreis auf Euro-Basis stützen würde. Viele Gold-Fans dürften daher eine Beruhigung beim Goldpreis abwarten, um anschließend ihre Bestände an physischem Gold weiter aufzustocken.

Über den Autor

Egmond Haidt begann nach seiner Bankausbildung und dem BWL-Studium im Jahr 2000 als Redakteur bei BÖRSE ONLINE. Seit dem Verkauf von BÖRSE ONLINE an den Finanzen Verlag im Januar 2013 arbeitet Egmond als freier Finanzjournalist und schreibt über Themen wie Wirtschaft, Aktien, Währungen, Rohstoffe und Edelmetalle. Seit der 2008er-Schuldenkrise beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Gold.