Der Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland und der Euro-Zone beschleunigt sich. Dennoch signalisiert die EZB nur eine extrem langsame Kehrtwende bei der Geldpolitik.

Die Nachrichten über die allmonatlichen Zahlen zur Inflation in Deutschland dürften viele Bürger, gerade jene mit mittlerem und geringem Einkommen, immer wütender machen. Im Mai sind die Verbraucherpreise um 0,9 % gegenüber dem Vormonat gestiegen – Wahnsinn! Üblich ist im Mai ein Plus von lediglich 0,2 %. Die Mai-Zahlen zeigen damit einmal mehr, wie sehr die Inflation galoppiert.

Damit sind die Verbraucherpreise im Mai um 7,9 % gegenüber dem Vorjahr nach oben geschossen, nach 7,4 % für April. Damit ist die Inflationsrate für Mai so hoch wie letztmalig im Winter 1973/74, als aufgrund der ersten Ölkrise die Mineralölpreise rasant gestiegen waren. Im Mai diesen Jahres sind die Energiepreise um 38,3 % nach oben geschossen, jene für Nahrungsmittel um 11,1 %. Gleichzeitig sind die Preise vieler anderer Güter kräftig gestiegen. Nach dem jahrelangen massiven Gelddrucken der Fed und der EZB, womit die Notenbanken die Inflation stärker angeheizt haben als jemals zuvor, hat der Ukraine-Krieg zuletzt die Energie- und Nahrungsmittelpreise nach oben getrieben und damit die Inflation zusätzlich angeheizt.

Laut dem harmonisierten Verbraucherpreisindex, der von der EU entwickelt wurde, um Preisveränderungen international zu vergleichen, und der der EZB als zentraler Indikator für die Inflationsentwicklung dient, sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Mai sogar um 8,7 % gegenüber dem Vorjahr nach oben gesprungen. Oder anders ausgedrückt: Ihre und meine Kaufkraft ist kollabiert.

Leider ist auch der Goldpreis zuletzt gesunken. Grund war der plötzliche Anstieg der Zinsen für zehnjährige US-Anleihen am Dienstag, 31. Mai, nachdem der Computerhandel offenbar bemerkt hat, dass die Fed Anfang Juni mit dem Abbau der Bilanzsumme beginnt. Dabei lässt die Fed im Zeitraum Juni bis August „alte“ US-Staatsanleihen im Volumen von jeweils 30 Mrd. US-Dollar pro Monat auslaufen, sowie Hypothekenanleihen von jeweils 17,5 Mrd. US-Dollar. Das sorgt für Aufwärtsdruck bei den Zinsen für zehnjährige US-Anleihen und belastet im Gegenzug den Goldpreis.

Hohe Inflation in der Euro-Zone

Unglücklicherweise galoppiert die Inflation in vielen anderen Ländern sogar noch stärker als in Deutschland, weshalb die Inflation in der Euro-Zone im Mai auf 8,1 % gestiegen ist, nach 7,4 % für April. Das ist einmal mehr die höchste Rate seit der Einführung des Euro. Bei diesen Zahlen dürfte vielen Bürgern der Euro-Zone zunehmend schwindelig werden.

Wie könnte es mit der Inflation in den nächsten Monaten in Deutschland weitergehen? Einige Volkswirte prognostizieren, dass die Senkung der Energiesteuer für Kraftstoffe für den Zeitraum Juni bis August die Inflationsrate im Juni unter 7,0 % drücken könnte, woraufhin sie allerdings ab September wieder auf mehr als 7,0 % steigen und in den Folgemonaten nur langsam zurückgehen werde. Andere Experten gehen davon aus, dass die Rate in den Sommermonaten auf mehr als 10,0 % steigen und sich im Gesamtjahr im Durchschnitt auf mehr als 8,0 % belaufen werden. Sie lesen richtig: „mehr als 10,0 %“.

Wie dem auch sei: jedermann dürfte klar sein, dass es bei den Verbraucherpreisen weiterhin deutlichen Aufwärtsdruck geben dürfte. Selbst wenn die Inflationsrate ab dem Herbst allmählich zurückgehen sollte, dürften die Verbraucherpreise weiter steigen – nur eben nicht mehr so stark gegenüber dem Vorjahr wie in den vergangenen Monaten. Das habe ich in dem Beitrag „Trotz möglicherweise bald sinkender Inflationsraten werden Verbraucherpreise weiter steigen“ vom 22. April vorgerechnet.

EZB legt die Hände weiter in den Schoss

Und was tut die EZB? Praktisch nichts, jedenfalls nicht die Inflation bekämpfen. Zuletzt hat EZB-Chefvolkswirt Philip Lane signalisiert, dass die EZB bei der Sitzung am 21. Juli die Zinsen um 25 Basispunkte (0,25 Prozentpunkte) anheben wolle und bei der darauffolgenden am 8. September ebenfalls um 25 Basispunkte. Damit wären die Einlagenzinsen für die Banken von aktuell minus 0,5 % im September bei Null.

Dass man mit Nullzinsen eine Inflation von sieben, acht Prozent oder noch mehr nicht bekämpfen kann, dürfte jedermann klar sein. So müssen Sie und ich also noch lange dabei zuschauen, wie die EZB Ihre und meine Kaufkraft immer weiter vernichtet.

Nun warte ich gespannt auf die nächste EZB-Sitzung am kommenden Mittwoch, 9. Juni. Dann dürfte EZB-Chefin Christine Lagarde einmal mehr erklären, dass man erst das alte APP-Anleihekaufprogramm Anfang Juli auslaufen lassen müsse, um anschließend erst bei der Sitzung am 21. Juli die Zinsen anzuheben. Selbstverständlich könnte man das Programm sofort auslaufen lassen und nicht erst am 21. Juli, sondern schon am 9. Juni die Zinsen anheben.

Allerdings würde diese Überraschung dazu führen, dass die Zinsen für die hochverschuldeten Länder Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland nach oben schießen würden – völlig zurecht – , womit in einem ohnehin schwachen Konjunkturumfeld schnell Rezessionssorgen aufkommen würden. Das kann die EZB unter keinen Umständen zulassen.

Warten auf US-Arbeitsmarktbericht

Hingegen sind die Sorgen vor einer Rezession in den USA oder gar einer weltweiten Rezession zuletzt deutlich in den Hintergrund gerückt. Zwar hat der Hersteller von Grafikkarten Nvidia eine Gewinnwarnung abgegeben. Allerdings haben die 1-Dollar-Läden Dollar Tree und Dollar General gute Zahlen vorgelegt und jeweils ihre Umsatzprognose erhöht, was nicht nur deren Aktien, sondern auch den Gesamtmarkt nach oben hat schießen lassen.

Investoren sind der Überzeugung, dass die einkommensschwachen US-Haushalte der hohen Inflation trotzen und damit weiter kräftig bei Dollar Tree und Dollar General shoppen. Ich bin hingegen völlig anderer Meinung. Demnach zwingt die hohe Inflation Verbraucher mit mittleren Einkommen zum „Down Trading“, also verstärkt auf günstigere Produkte auszuweichen, was das Geschäft bei den größten Einzelhändlern, wie Walmart und Target deutlich belastet, hingegen jenes bei den 1-Dollar-Läden beflügelt. Nach dem „Down Trading“ kürzen die Konsumenten im Falle einer Rezession allerdings ihre Budgets, woraufhin die Einnahmen der Einzelhändler beginnen zu sinken. Ich bin daher – im Gegensatz zu vielen „Experten“ – weiterhin der Überzeugung, dass die US-Wirtschaft rapide auf eine Rezession zusteuert.

Das sind gar keine guten Aussichten für US-Präsident Joe Biden und seine Demokraten vor der Halbzeitwahl am 8. November. Daher hat sich Biden am Dienstag, 31. Mai mit Fed-Chef Jay Powell und Finanzministerin Janet Yellen im Weißen Haus getroffen, um über die hohe Inflation zu reden. Anschließend hat Biden zwar einmal mehr seinen Respekt gegenüber der Fed und ihrer Unabhängigkeit ausgedrückt.

Allerdings sollte jeder wissen, wie ein derartiges Treffen üblicherweise abläuft. Bidens Berater dürften Powell klar gemacht haben, dass er zwar die hohe Inflation bekämpfen muss, dabei allerdings keine Rezession auslösen darf und natürlich auch keinen Crash am Aktienmarkt. Powell steckt damit schwer in der Klemme. Entweder er bekämpft die herbe Inflation weiter halbherzig, woraufhin die hohen Preise die Konjunktur abwürgen, weil sich die Verbraucher für ihr Geld immer weniger kaufen können. Oder Powell bekämpft die hohe Inflation mit kräftig steigenden Zinsen, woraufhin die Wirtschaft mit hoher Wahrscheinlich in eine Rezession abrutschen dürfte, während der S&P500 erneut einbrechen dürfte. In Powells Haut und der seiner Kollegen möchte ich echt nicht stecken!

Warten auf US-Arbeitsmarktbericht

Wie gesagt hat die Fed hat Anfang Juni mit dem Abbau der Bilanzsumme begonnen. Der Sinn der Übung: Die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen sollen noch stärker nach oben getrieben aus durch die Zinserhöhungen der Fed ohnehin schon.

Umso genauer werde ich beobachten, ob die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen nach dem kräftigen Rückgang der vergangenen Wochen in den nächsten Wochen steigen sollten. Wenn aufgrund schwacher US-Konjunkturdaten die Rezessionssorgen der Investoren plötzlich wieder zurückkehren sollten, könnten sie in US-Staatsanleihen flüchten, woraufhin die Zinsen – entgegen der Vorhersage vieler „Experten“ – deutlich sinken könnten. Das sollte den Goldpreis beflügeln. Umso gespannter warten Investoren auf den US-Arbeitsmarktbericht am kommenden Freitag, 3. Juni. Dann gilt es nicht nur, sich die Daten genau anzuschauen, sondern vor allem auch die Reaktion der Zinsen für zehnjährige US-Anleihen auf die Zahlenvorlage.

Falls die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen kurzfristig weiter steigen sollten, könnte sich der Kursrückgang bei Gold noch etwas ausweiten. Zumal wenn der Dollar nach der zwischenzeitlichen Korrektur wieder nach oben drehen sollte, womit die Notierung des Edelmetalls von einer zweiten Seite Gegenwind bekäme. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Rezessionssorgen der Investoren schneller zurückkehren dürften, als derzeit viele Anleger erwarten, woraufhin es neue Turbulenzen an den Aktienmärkten geben sollte. Dann wird sich zeigen, ob Investoren neben US-Staatsanleihen auch Gold als sicheren Hafen betrachten.

Über den Autor

Egmond Haidt begann nach seiner Bankausbildung und dem BWL-Studium im Jahr 2000 als Redakteur bei BÖRSE ONLINE. Seit dem Verkauf von BÖRSE ONLINE an den Finanzen Verlag im Januar 2013 arbeitet Egmond als freier Finanzjournalist und schreibt über Themen wie Wirtschaft, Aktien, Währungen, Rohstoffe und Edelmetalle. Seit der 2008er-Schuldenkrise beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Gold.